“Ladies & Gentlemen, this is your captain speaking” - ein Pilot im Interview

 

Thomas Steffen, A320-Kapitän einer Schweizer Airline, gewährt uns einen Einblick in den Alltag eines Piloten und gibt spannende Tipps und Tricks rund ums Reisen.

Kein Pilot ohne… Koffer

Womit sind Sie ausgestattet, wenn Sie sich zu Ihrer täglichen Arbeit an den Flughafen begeben?

Meine Arbeitskleidung besteht aus der Uniform mit Patten und dem Piloten-Hut. Zudem habe ich immer meinen Crewbag mit dabei. Dieser ist etwas grösser als ein normales Kabinen-Gepäckstück und ziemlich schwer. Im Crewbag befinden sich meine wichtigen Unterlagen, die ich zum Fliegen brauche. Das wären meine Fluglizenz, Laptop, Arbeitsnotizen & Zusammenfassungen so wie Sonnenbrille, Glücksbringer und Fremdwährungen. Würde ich meine Fluglizenz zu Hause vergessen, dürfte ich theoretisch nicht fliegen. In einem solchen Fall könnte ich jedoch meine Firma anrufen, die mir kurzfristig eine Kopie davon ausstellt. Wenn ich einen Nightstop habe und auswärts schlafe, dann reist zusätzlich ein grosser Koffer mit, in welchem ich meine persönlichen Utensilien - wie Turnschuhe und Sportbekleidung oder gar eine Winterjacke - verstaue.

Sie reisen nie ohne…?

Ich habe immer Kleider für den Nightstop mit dabei. Ich möchte schliesslich nicht mit meiner Uniform durch die Strassen laufen. Ausserdem darf ich das auch nicht. Auch mein Necessaire ist immer mit dabei. Zudem ein frisches Uniformhemd und Ladekabel für mein iPhone und iPad.

Was packen Sie hingegen nie ein? Welches Reiseutensil ist völlig überbewertet?

Ein eigenes Kissen…

Was vergessen Sie regelmässig?

Den Strom-Adapter lasse ich oft aus Versehen zu Hause. Da ich Kurz- und Mitteldistanzen fliege, komme ich viel in Europa herum, wo sich die Anschlüsse oft unterscheiden. Vor allem in England, wo ich regelmässig bin, benötige ich dringend einen Adapter! Bleibt der Adapter daheim, muss ich unterwegs haushälterisch mit meinen elektronischen Geräten umgehen.

Wie viel Zeit benötigen Sie als erfahrener Reisender, um Ihren Koffer zu packen? Wie gehen Sie dabei vor?

Durch meine Routine habe ich meine Koffer innerhalb von 10 Minuten gepackt. Dabei gehe ich immer gleich vor: Zuerst lege ich meine Sachen neben dem Koffer bereit und erst dann werden sie eingepackt. Im Ausland versorge ich die Dinge, die ich nicht mehr brauche, gleich wieder im Koffer. Kurz vor dem Verlassen des Hotelzimmers nochmals einen guten Kontrollblick durch das Zimmer zu werfen, hat sich ausserdem auch sehr bewährt.

Aufwachen, aufstehen und abheben

Beschreiben Sie uns doch einen “normalen” Arbeitstag eines Piloten.

Normalerweise stehe ich 2.5 Stunden vor dem Abflug auf, dusche, packe und frühstücke. 30 Minuten vor dem Check-In der Crew fahre ich von zu Hause ab. Vom Parkplatz aus begebe ich mich zu Fuss ins Operation Centre. 60 Minuten vor Abflug muss ich dort einchecken. Der früheste Abflug ist um 6:20 Uhr. Bin ich da als Pilot eingeplant, bedeutet das für mich, dass ich um 3:50 Uhr aufzustehen muss.

Was passiert kurz vor dem Abflug?

In den 60 Minuten vor dem Abflug passiert folgendes: Ich treffe den Co-Piloten und gemeinsam studieren wir die Flugunterlagen. Das heisst, dass wir das aktuelle Wetter und die Wetterprognose für den Zielort analysieren und die Funktion der technischen Geräte am Zielflughafen checken. Anschliessend briefe ich die Kabinenbesatzung und lege - entsprechend des Flugplans und Wetters - die Kerosinmenge für den Flug fest. Als nächstes ist es Zeit, durch die Sicherheitskontrolle zu gehen. Der Crewbus fährt uns zum Flugzeug. Wir nehmen die Maschine in Betrieb und überprüfen alle Instrumente. Dann geht es los: Die Passagiere steigen ein und werden begrüsst. Nun heben wir ab…

Sie erwähnten den Co-Piloten - erklären Sie uns den Unterschied zwischen Kapitän und Co-Pilot?

Der Kapitän und der Co-Pilot sind beides Piloten. Der Kapitän sitzt im Cockpit links, der Co-Pilot rechts. In der Regel hat der Kapitän mehr Erfahrung und fällt schlussendlich die Entscheidungen. Bevor er jedoch entscheidet, wird - wenn möglich - zuerst alles im Team besprochen. Die Aufgaben werden auf jedem Flug abgewechselt (die eine Person steuert das Flugzeug, die andere unterstützt mit Flugfunk, etc.). Jeder Pilot beginnt seine Karriere als Co-Pilot und kann nach einigen Jahren die Ausbildung zum Kapitän absolvieren.

Welcher Teil der Flugreise gefällt Ihnen am besten?

Sicherlich sind der Start und die Landung am spannendsten, weil man da richtig gefordert ist. Gestartet wird immer von Hand. Setzt der Sinkflug ein, kann es gut vorkommen, dass die Maschine von 10 km Flughöhe in die Wolken absinkt und dabei Gewitterwolken ausweichen muss. Landungen bei nasser oder schneebedeckter Piste haben zudem einen längeren Bremsweg zur Folge. Ist dann die vorgesehene Landepiste zu kurz, muss eine andere Piste gewählt werden. Auch Landungen mit viel Seitenwind sind anspruchsvoll. Bei schlechter Sicht (unter 550 m Sichtweite) wird automatisch und nicht mehr von Hand gelandet. Im Durchschnitt werden jedoch 95% der Landungen von Hand durchgeführt.

Machen Sie während des Fluges auch mal Pause? Dürfen Sie im Cockpit schlafen?

Wenn ich morgens sehr früh aufstehen muss oder sehr lange Arbeitstage habe, dann kann ich in Absprache mit meinem Kollegen auf einem längeren Flug im Cockpit auch einmal die Augen schliessen. Der Kollege übernimmt somit meine Aufgaben, ich darf aber nicht in den Tiefschlaf fallen. Deshalb ist die Pause auf weniger als 40 Minuten limitiert.

Was geschieht nach der Landung im Cockpit?

Zuerst gilt es, das Gate zu finden und den Flieger zu parkieren. Fast wie beim Auto fahren. Nach dem Verabschieden der Fluggäste füllen wir die Checkliste (gebrauchte Kerosinmenge notieren, Techniker über den Zustand des Fliegers informieren) aus, verlassen die Maschine, holen unser Gepäck und machen uns für den nächsten Flug bereit.

Was tun Sie an der Zieldestination jeweils als erstes?

Eigentlich etwas ganz Simples: Koffer auspacken, umziehen und an die frische Luft gehen.

Der Chef empfiehlt - Ihre persönlichen Favoriten?

Welche Reisedestination ist Ihnen als Pilot persönlich am liebsten?

Von den Kurzstreckenflügen mag ich Berlin und London besonders gut, weil ich an beiden Orten sehr viel an der frischen Luft unternehmen und gut essen kann. In London steht für mich z. B. immer die indische Küche für ein gutes Abendessen auf dem Programm. Auch ein bisschen Shopping darf nicht fehlen.

Welcher Flughafen gefällt Ihnen am besten?

Als Pilot fliege ich sehr gerne nach London, weil da die Fluglotsen trotz des sehr dichten Flugverkehrs einen super Job machen. Architektonisch gefällt mir der Flughafen von Oslo ausserordentlich gut. Dieser ist modern gebaut, wirkt aber Dank des vielen Holzes natürlich.

Wo ist das beste Flughafen-Restaurant zu finden?

Definitiv in München, da gibt es die besten Weisswürste - leider aber in der Mitarbeiterkantine (lacht). Am Flughafen in Berlin ist die Currywurst am Ess-Bahn-Imbiss empfehlenswert.

Schräges & Aussergewöhnliches aus dem Pilotenleben

Was ist das Verrückteste, das Sie während eines Fluges als Pilot bisher erlebt haben?

Ein medizinischer Notfall auf dem Weg nach Tokyo. Wir waren gerade über den Weiten Russlands unterwegs und mussten via Satellitentelefon bei der REGA um Rat fragen. Da hiess es für die Piloten: Ruhe bewahren! Mehr kann ich an dieser Stelle leider nicht erzählen.

Angst während eines Fluges - kennen Sie das?

Seit ich selber im Cockpit sitze, musste ich noch nie mit diesem Gefühl kämpfen. Ein einziges Mal bekam ich es aber als Passagier zu spüren. Unser Flug ging nach Rom und über den Alpen schüttelte es so gewaltig, dass sogar ich ein mulmiges Gefühl im Bauch hatte.

Herr Steffen, herzlichen Dank für das Interview!